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Die Egoismus-Falle
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Beziehungen
Die Egoismus-Falle

Macht Nächstenliebe krank?

Luise Schneeweiss
Redakteurin und Autorin
Bogenhofen, A

Ist doch jeder «sich selbst der Nächste»?

Im österreichischen Wahlkampf propagierte ein rechtsnationaler Politiker auf seinen Wahlplakaten: «Liebe deine Nächsten! – Für mich sind das unsere Österreicher». Ein absurderer und peinlicherer Missbrauch dieses Textes hätte kaum geschehen können. Das Zitat kommt schließlich aus dem Gleichnis vom Barmherzigen Samariter, in dem es darum geht, nicht nur seinem Landsmann, sondern einem Fremdling und Feind zu helfen! Da hätte man wohl besser noch einmal nachgelesen! (Lukasevangelium Kap. 10, Verse 25-37)

Andere leiten aus dem bekannten Motto die folgende, recht modern klingende Botschaft ab: Es geht nicht nur um Nächstenliebe, sondern auch um Selbstliebe («… wie dich selbst»). Bevor du andere lieben kannst, musst du erst einmal lernen, dich selbst zu lieben. Also kümmere dich zuerst um deine Bedürfnisse, und dann kannst du aus dem Überfluss deines Wohlbefindens auch anderen etwas Gutes tun. (Natürlich nur, solange es dir selbst gut tut). Schließlich willst du doch nicht als Burn-out-Fall enden, weil du nur an andere und nicht an dich gedacht hast! Der Grundsatz lautet: «Ich muss zuerst auf mich schauen». Wer es mit der Nächstenliebe übertreibt, wird krank! Klingt schlüssig – aber stimmt das auch?

Die beiden Beispiele zeigen, wie es uns recht gut gelingt, einen Grundsatz so lange zu biegen, bis er in unser heutiges Weltbild passt und all seine Radikalität verliert. Wenn wir unsere Gesellschaft genau betrachten, findet sich wohl eher eine dramatische Zunahme des Egoismus als der Selbstlosigkeit. Die meisten scheinen keinen Nachhilfeunterricht dabei zu benötigen, ihren eigenen Vorteil im Auge zu behalten. Immer weniger Menschen sind dazu bereit, sich für das Gemeinwohl einzusetzen, für Kinder, Alte oder Kranke zu sorgen, Zeit in Menschen zu investieren statt in die Karriere oder vom eigenen Wohlstand etwas abzugeben. Aufgrund der vorherrschenden Sicht wird diese Abgrenzung als das einzig vernünftige Verhalten gesehen. Am Ende ist sich eben doch «jeder selbst der Nächste».

Krankhafte Selbstaufopferung

Was ist aber mit jenen Menschen, die tatsächlich daran zugrunde gehen, dass sie ausgenutzt werden, sich aufopfern und überarbeiten? Gibt es sie denn nicht? Die Arbeitsbedingungen in vielen sozialen Berufen, aber auch manche Familiensituation, bringen viele an die Grenzen ihrer Belastbarkeit – und darüber hinaus! Man kann sich verausgaben, überschätzen und seine eigene Gesundheit gefährden. (Das trifft sowohl auf den ehrgeizigen Workaholic zu, der noch mehr Gewinn erzielen will, als auch auf den gutherzigen Kollegen, der nie «nein» sagen kann). Auch andere Ursachen spielen mit hinein. Manch einer kompensiert emotionale Defizite (z. B. aus der Kindheit) durch einen pausenlosen Einsatz für andere, immer in der Hoffnung, dadurch Annahme und Liebe zu erfahren und sich nützlich und wertvoll zu fühlen. Andere wollen sich die Liebe des Partners durch völlige Selbstaufgabe und Unterwürfigkeit sichern.

 

 

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